, Gabriele Schweickhardt

Marlen-Christine Kühnel

MJg 1973 / Dichterin, Moderatorin, Kulturschaffende

Aussteigen, um ins Leben einzusteigen“ 

„Woher nahmen Sie den Mut, eine sichere Arbeitsstelle zu verlassen, um als Künstlerin weiterzuleben?“, wurde Marlen Kühnel oft gefragt. „Ohne Krankheit würde auch ich noch heute im Hamsterrad laufen“, erzählt die Schriftstellerin, die erst in reiferen Jahren zu ihrer Berufung gefunden hat. Ihre Lyrik- und Prosawerke „Alles nur Fassade“, „Schein oder Sein“, „Bevor es zu spät ist“ zeigen das Menschliche, das aus Angst vor Verletzungen sorgsam hinter Masken versteckt wird.
Marlens Liebe zur Literatur wurde im Piaristengymnasium geweckt. Unter Professor Vogelsang lernten die SchülerInnen der Oberstufe am Nachmittag in „Literaturpflege“ sehr viele Werke der Weltliteratur näher kennen und legten eine umfangreiche „Literaturmappe“ an. Jahre später konnten noch Marlen Kühnels Kinder bei der Matura davon profitieren.

In den 1960er Jahren konnte man im Piaristengymnasium noch Französisch als erste Fremdsprache wählen. Dafür entschied sich auch Marlen Kühnel. Später wurde diese Sprache der rote Faden in ihrem Leben, auch wenn Prof. Tauber sie immer wieder aufforderte, doch bitte „la rose“ richtig auszusprechen.
Während Marlens Gymnasialzeit witzelten manche Mitschüler: „Na, die Familie Majer hat die Schule ja fest im Griff!“, gab es doch von der ersten bis zur achten Klasse sechs davon, Schwestern, Cousine und Cousin, und obendrein war der Vater Obmann des Elternvereins.

Marlen Kühnels beruflicher Weg war zuerst vom Spruch der Anwalts- und Ärztefamilie bestimmt: „Mit Schreiben verdient man kein Geld – und Frauen schon gar nicht!“ Die Absolventin einer europäischen Wirtschaftsakademie und eines Dolmetschstudiums in Französisch erhielt ihren ersten Job als Exportleiterin in der Modebranche. Auf Französisch, Englisch und Spanisch verhandelte sie Lizenzverträge und organisierte ausländische Messen vom Standaufbau bis zur Modeschau.

Auch privat schien der „normale“ Weg mit Heirat und Geburt der Kinder vorgezeichnet. Doch eine liebevolle Ehefrau und Mutter zu sein war der umtriebigen Marlen bald zu wenig. Ihr Traum, für die französische Botschaft zu arbeiten, erfüllte sich im Palais Clam-Gallas in der Kulturabteilung und im Institut français de Vienne. Als Mitglied der französischen Delegation setzte sie jährlich mit den entsprechenden österreichischen Ministerien Austauschprogramme im Bereich Jugend, Erwachsenenbildung und Sport um.

Die Doppelbelastung von Beruf und schließlich alleinerziehender Mutter führten zu einem Burnout. Die Heilung der körperlichen und seelischen Erschöpfung dauerte eineinhalb Jahre. Ein umsichtiger Arzt war Auslöser für die Lebensänderung.

Das Großstadtkind wurde Aussteigerin, Lebenskünstlerin, „Zuagroaste“ im Waldviertel auf einem alten Bauernhof. Marlen baute sich ein Leben als Selbstversorgerin mit eigener Landwirtschaft und vielen Tieren auf. Sie züchtete die bedrohte Pinzgauer Ziegenrasse und wurde Mitglied im Zuchtverband. Die Tiere konnte sie zum Auswildern verkaufen.

Das Landleben bot Marlen Kühnel die idealen Voraussetzungen zum Schreiben. In der Stille wuchs die Kreativität. Den Schwerpunkt ihrer Werke bildete die Lyrik, das Spiel mit der verdichteten Sprache. Es entstanden aber ebenso BeZIEHungsromane, literarische Fotokalender und Auftragsgedichte. Als Verlegerin und Schriftstellerin tourte sie mit Lesungen durch Österreich und war Gast auf den Buchmessen in Frankfurt und Leipzig.

GLÜCK
In die Ferne schaun
die Berge im Blick
die Landschaft atmen
ihr belebendes Grün.

Nichts als Beobachten
in der Stille verweilen
die Fliegen am Tisch
tanzen im Wind.

 Wolken lassen sich treiben
Spiele unserer Phantasie
die Amsel im Flug
singt mit den Mücken.

In die Ferne schaun
die Landschaft atmen
und im Tanz deiner Seele
findest du GLÜCK!

Nach vierzehn Jahren Landleben öffneten sich 2014 auf einmal viele neue Türen in Wien. Marlen Kühnel kehrte nicht nur für zwei Jahre in die französische Botschaft zurück, sondern rief zusätzlich als selbstständige Leiterin kreative Schreibwerkstätten ins Leben, die im Vordergrund standen. Dieses Angebot baute sie mit Seminaren für literarisches Schreiben sowie mit Sommer- und Silvesterworkshops und Onlinekursen aus.  

Ein weiteres Projekt, den „Literatursalon“, startete Marlen in ihrem privaten Salon, bevor er ins Palais Clam Gallas übersiedelte. In Kooperation mit dem französischen Kulturinstitut fand hier von 2014 bis 2016 der „Literatursalon im Palais“ unter Mitwirkung auch französischer Literaten und Musiker statt. Seit Oktober 2017 war er im Volkskundemuseum im Gartenpalais Schönborn in der Laudongasse 15–19 beheimatet. Wegen der Renovierung des Gebäudes sind die neuen Heimstätten das Bezirksmuseum Josefstadt und das Alte Rathaus. 

„Vorzeigefrau“ ist nicht nur der Titel von Marlen Kühnels erstem Roman, sie zeigt vor, wie man immer wieder aufsteht und seinen Weg geht, „bevor es zu spät ist“, und diese Botschaft möchte sie gern weiteren Generationen mitgeben.
Trotz fortgeschrittenen Alters kann Marlen Kühnel immer noch ihre BeRUFung leben – was gibt es Schöneres?

www.marlenchristine.at

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